Di, 04.10.2022

Blockiert der deutsche Föderalismus den Fortschritt?

Ministerin Lucia Puttrich zu Gast am Hansenberg

Damit eine Debatte spannend wird, benötigt sie verschiedene Komponenten: Ein kontroverses Thema, ein interessiertes Publikum und rhetorisch begabte Gäste. Die dritte Debatte in der Reihe der Ministerdebatten am Hansenberg widmete sich dem Thema Föderalismus und stellte die Frage: „Blockiert der deutsche Föderalismus den Fortschritt?“. Dieses komplexe Thema konnte die Schüler und Schülerinnen des Hansenbergs nicht abschrecken, sodass die Aula des Hansenbergs pünktlich zu Beginn der Debatte mit aktuellen Hansenbergern, Alumni und Eltern gefüllt war.

 

Pünktlich rollte der Wagen der Ministerin vor. Sie und ihr Team machten sich in der Vorbereitungsphase sofort daran, letzte Absprachen zu treffen, Positionen auszutauschen und über die wichtigsten Punkte einig zu werden. 15 Minuten später konnte es auch schon los gehen: Joel Albrecht und Tijan Ballhausen begrüßten als Moderatoren das Publikum und leitete es durch diese Debatte. Gegen das Team der Ministerin debattierte der ehemalige deutsche Meister im Debattieren, Lennart Lokstein, ebenfalls mit zwei Schüler*innen des Hansenbergs. Es folgte eine inhaltlich tiefgehende und überzeugende Debatte:  


Die Bundesrepublik Deutschland ist vereint und doch in 16 Stücke aufgeteilt. Sie steht gemeinsam vor großen Herausforderungen wie dem Klimawandel oder auch dem Bildungssystem und doch besitzen die einzelnen Bundesländer weitreichende Kompetenzen. Ebendiese politische Ordnung wird als Föderalismus bezeichnet.  Diskutiert wurde nun darüber, ob Föderalismus den Fortschritt blockiert oder ihn sogar positiv beeinflusst.


Aber was ist Fortschritt eigentlich?
Fortschritt ist stets positiv, kreativ und innovativ. Er soll die Gesellschaft weiterbringen und Potential bieten. Darin waren sich auch die beiden Teams einig. Das Team rund um Frau Puttrich unterteilte diese Definition jedoch in schlechten und guten Fortschritt. Demnach ist guter Fortschritt an die Bürger*innen angepasst und hilft ihnen. 
Doch weil jedes Gebiet, hier jedes Bundesland andere Interessen hat, muss es auch unterschiedliche Gesetze geben, die man nur dank des Föderalismus umsetzen kann. Gleichzeitig inspirieren sich die Länder: Wenn ein Projekt, beispielsweise zur Energiegewinnung, in Hessen gut funktioniert, kann ein Land wie Niedersachsen das Projekt übernehmen und es an die Wünsche seiner Bürger anpassen. Das einzelne Bundesland wird zum „Reagenzglas der Innovation“ (Florian Fabricius).
Das Team um Lennart Lokstein musste dieser Definition jedoch vehement widersprechen. Sie sind überzeugt, dass das eben genannte „Reagenzglas der Innovation“ auch zu einem Wettbewerb zwischen den Ländern führt. Dieser kann zwar positive Anreize setzen, aber auch einen destruktiven Charakter annehmen. 
Als Beispiel nannten sie das Abitur: Jedes Land möchte beweisen, dass das Bildungssystem innerhalb des Bundeslandes sehr gut ist. Hierfür wird die Rate des erfolgreich abgeschlossenen Abiturs herangezogen. Doch diese Rate steigt immer weiter, da das Abitur seit einigen Jahrzehnten komischerweise immer einfacher werde. Dies sei nur durch „Politiker“, die ein nicht unerhebliches Interesse an Ihrer Widerwahl hätten, möglich, wodurch diese Art der Konkurrenz den Fortschritt im Bildungswesen verzerre.Fortschritt soll Ihrer Meinung nach deswegen nicht nur gut, sondern vielmehr gerecht sein, indem beispielsweise die Steuern proportional zur Einwohnerzahl verteilt werden, sodass die einzelnen Kommunen der Länder gleich viel Geld zur Verfügung haben, um eine bessere Zukunft zu erreichen. Dafür müsste sich jedoch die bisherige Gesetzgebung mehr als anpassen.

 

Prinzipiell möchten zu diesem Zeitpunkt der Debatte aber noch beide Teams dasselbe: 
das Beste für die Bürgerinnen und Bürger!
Helene, Johannes und Lennart sind sich sicher, dass „das Beste“ nur durch mehr Effizienz durch mehr Einheit, ja mit mehr Gemeinschaft erreicht werden kann. 16 verschiedene Institutionen (bspw. Kriminalamt) sind für sie 15 zu viel, gerade wenn es in Krisenzeiten darum geht, möglichst schnell gute Entscheidungen zu treffen. Außerhalb der Krisen stehe diese Ineffizienz aber auch langfristigen Zielen wie der Digitalisierung im Weg. Deswegen haben sie nicht nur eine gerechtere Vision von „Fortschritt“, sondern wünschen sich auch eine effizientere Politik, damit die Bürger*innen die Politik als aktiv und engagiert wahrnehmen.Frau Puttrich, Julia und Florian haben hier jedoch mehr als nur ein Wörtchen mitzureden, denn dieses Argument ist Ihnen zu einfach gestrickt.

 

Um mithilfe von einheitlichen Regelungen effizienter agieren zu können, müssen die Länder einen hohen Preis zahlen. Sie können nicht mehr nach dem sogenannten Subsidiaritätsprinzip, demnach alle Entscheidungen auf der niedrigst möglichen Ebene getroffen werden sollen, mitbestimmen. Ein Teil ihrer Selbstbestimmung würde verloren gehen. Ferner motiviert dieser Gemeinschaftsgedanken nicht die Politik. Denn auch in der Politik gilt für Julia „Konkurrenz belebt das Geschäft“. Der Druck der Wähler*innen auf die Landespolitiker durch persönlichen Kontakt ist viel mittelbarer als ein Wahlprogramm auf Bundesebene.  Auf Landesebene kümmert man sich um jeden- nicht um die größte Menge an Personen in Deutschland! Letztlich ist jedoch das Engagement der Bürger*innen selbst entscheidend. 


Frau Puttrich ist überzeugt, dass die Gewaltenteilung ein Schutzmechanismus im Föderalismus ist. Überdies sorge die doppelte Gewaltenteilung (horizontal und vertikal) für eine nahbare Politik auf Landesebene. Gerade nahbare Politik ist dringend nötig, wenn man den Einzelnen motivieren will, Politik aktiv mitzugestalten anstatt sich der Ausrede zu bedienen, „dass man als Einzelner ja sowieso nichts bewegen könne und Berlin ja so weit weg wäre“.  

 

Am Ende steht das Team Puttrich für Fortschritt durch Mitbestimmung, während Team Lennart uns als Kämpfer für gerechten Fortschritt durch Effizienz im Kopf bleibt.
Wir freuen uns, dass der Hansenberg auch an diesem Abend den Raum für eine aktuelle Debatte geboten hat. Denn innerhalb einer guten Debatte wie dieser können auch kontroverse Thesen miteinander diskutiert und Argumente konstruktiv gegeneinander abgewogen werden.


Ferner freuen wir uns, dass unser Schulleiter Herr Heins sowie die Geschäftsleitung unter Frau von Zitzewitz-Schänzer und Herr Barthel uns als Debattiervorstand (Patrick Barthel, Florian Fabricius, Sophie Faßhauer, Ben Michel und Felix-Maximilian Wenzel) bei der Organisation dieser Veranstaltung tatkräftig unterstützten.
Ein großer Dank gilt jedoch auch unseren Gästen (Lucia Puttrich und Lennart Lokstein), der Moderation (Joel Albrecht und Tijan Ballhausen) sowie den Redner*innen (Johannes Berg, Florian Fabricius, Helene Menthes und Julia Pfaff) und der Technik, ohne die solch ein Abend überhaupt nicht möglich gewesen wäre.