Di, 28.04.2009

Im Anschluss der Kuratoriumssitzung an der ISH besucht Prof. Reitzle von der Linde AG die Klasse 12a und führt mit ihr eine Diskussion über „Die Finanzkrise: Entstehung und Folgen für die Wirtschaft in Deutschland“

Prof. Reitzle beginnt vor sehr aufmerksamen Zuhörern in Klasse 12 a seine Erläuterung der Genese der Finanzmarktkrise mit der Politik der vergangenen US-Regierungen: Reagan, Clinton und Bush Sr. bzw. Bush Jr. Erklärtes Ziel der ehemaligen US – Regierungen war – so Prof. Reitzle – die „ Politik des billigen Geldes“ der US- Zentralbank unter Alan Greenspan, und die Idee des „Ein Haus für alle Amerikaner“.

Finanziert wurden die billigen Hypothekenkredite durch die beiden US-Immobilienfinanzierer Fanny Mae und Freddy Mac. Versichert wurden diese Kredite wiederum durch den Versicherungsgiganten AIG (American Insurance Group). Diese oligopolistischen Kreditfinanzierer kannten (anders als noch die US-Sparkassen vor ca. 15–20 Jahren) als nicht-lokale Banken ihre Kunden kaum noch. So verkauften sie schließlich die sog. high-risk 100 % Finanzierungen sogar an Kunden mit sehr geringem Einkommen (den sog. Subprime-Krediten). Dies ging jahrelang gut, da die Preise für die gekauften Häuser regelmäßig anstiegen, bedingt durch die sehr hohe Nachfrage. Hinzu kam ein Verkaufstrick: Die Anfangszinsen waren niedrig. Aber: Der Zinssatz war flexibel, so dass bei steigenden Zinsen diese Kunden ihre Schulden nicht mehr bedienen konnten. Die „Schere“ schnappte zu, als dann auch noch die Häuserpreise nicht mehr stiegen, sondern die Boomblase platzte, die Häuserpreise fielen nun! Bei den Großinstituten bedeutete dies, dass die Kreditausfallrate von 1–2 % auf 6–8 % anstieg. „Für die Finanzierer das Desaster in den USA!“ so der Linde-Vorstand.

Ein weiterer Faktor erklärt das unglaubliche Volumen, den sagenhafter Boom der Hauskäufe in den USA. Über mehr als 15–20 Jahre stiegen die Häuserpreise (bedingt durch die Politik der US-Regierung und das billige Geld von der US-Fed, der amerikanischen Zentralbank). Fast in jedem Jahr stiegen die Häuserpreise wegen der hohen Nachfrage um 3–5 %, z. T. sogar um bis zu 10 % per anno. „So konnte ein Kredit sich sozusagen selbst finanzieren, nach 10 Jahren war das gekaufte Haus schon zur Hälfte „schuldenfrei!“ stellte Reitzle vor erstaunten Zuhörern fest.

Der dritte Faktor laut Reitzle war die sog. Bündelung und der Weiterverkauf der „low rate“ Hypothekenpapiere, sowie die Zertifizierung durch die Rating-Agenturen. Die Hypothekenbanken (z. B. Fanny Mae oder Freddy Mac) packten die verschiedenen Kredite zu „Paketen“ und diese wurden dann als sog. CDOs (Collateral Debt Obligations) verkauft und auf dem „freien Markt“ gehandelt. Da diese Papiere durch „sichere Immobilien“ abgesichert waren, und zudem „diversifiziert“ wurden, konnten diese „Schrottpapiere“ durch die Rating-Agenturen sogar mit Triple A (AAA entspricht dem Urteil – sehr sicher) gehandelt werden. Reitzle verwies darauf, dass in dieser Zeit nur 12 (!) reale Wirtschaftsunternehmen mit Triple- A geratet wurden, z. B. General Electric oder Toyota, aber zugleich hatte die sagenhafte Summe von 64 000 Finanzprodukten das begehrte AAA bekommen. „Und alle verdienten prächtig daran!“ so der Linde-Chef.

So kam es, dass nach nur knapp 10 Jahren durch diese „innovativen Finanzprodukte“ eine fiktive Wertschöpfung von unglaublichen 500 Billionen US-Dollar geschaffen wurden. Wegen der mäßigen Geschäftsmodelle besonders der Deutschen Landesbanken kauften diese die scheinbar „sicheren“ (da hervorragend gerateten) aber attraktiven Produkte. Der Grund: Diese Papiere warfen hohe Zinsen ab. „Irgend jemand muss also von dem Risiko geahnt haben. Wohin aber nun mit diesen toxischen Papieren?“

Dieser „virtuelle Geldmarkt“ krachte dann (analog einem Schneeball – System) nach den ersten Kreditausfällen über den USA zusammen. Wie in einem Domino-Spiel konnten die ersten Subprime-Schuldner ihre Schulden – wegen gestiegener Zinsen aber fallender Immobilienpreise – nicht mehr bedienen. Die Ausfallraten bei den Mega-Immobilienfinanzierern explodierten, Dies zog parallel die großen Rückversicherern, z. B. die AIG, in die Krise, da deren Rückversicherungskosten nun steil anstiegen. Parallel gingen die Preise für die gehandelten Triple A Wertpapiere in die Knie, da der Schwindel offensichtlich wurde. So kollabierte in jenem verhängnisvollen September 2008 die berühmte, traditionsreiche Investmentbank „Lehman Brothers“, die Krise war aller Welt deutlich geworden.

Die von Reitzle bezifferten Ausfallsummen sind wahrhaft gigantisch: 1 500 – 3 000 Mrd US-Dollar (das entspricht 3 Billionen Dollar), schätzt der Firmenlenker. Die Banken mussten letztlich beim „Staate um finanzielle Hilfe bitten“. Die Eigenkapitalquoten der Banken sanken weit unter die nötige Kernkapitalquote von 8 %, die Banken waren „pleite“.

Die Folgen sind global, so Reitzle. Um ein Wachstum von nur 1 Dollar zu generieren müssen 4 Dollar investiert werden. Dieses Geld ist aber laut Reitzle „weg“. Daher werde das Global GDP-Growth (Welt-Wertwachstum) also deutlich von 4 auf unter 2 % sinken. Die Folgen für alle Länder werden eine sehr langfristige, nachhaltige Wirtschaftskrise, zumal durch die “Angst der Banken“ untereinander die Kreditvergabe weiter sinken wird. „Die Implosion der virtuellen Werte der Finanzmärkte reißt die reale Wirtschaft mit herunter! Die realen Vernetzungen der Handels- und Geldbeziehungen in der Welt sind nun klar erkennbar! In Deutschland ist die Krise noch nicht richtig angekommen, die Folgen werden wir erst im 2. Halbjahr oder 2010 spüren“. Die Befürchtungen des Vorstandsvorsitzenden sind düster.

Die Fragerunde ging vor allem auf die Situation von Linde in der Krise ein. Reitzle betonte, er habe schon im Oktober 2008 ein Cost Freeze eingeführt. „Auch wir haben ein Minus!“ Linde stehe aber relativ noch gut da. „Die Rumpelstrecke wird länger unsere Nerven beanspruchen als wir alle glauben oder hoffen.“